Seltsamerweise will heute unbedingt noch ein zweiter Bogen gefüllt werden. Nach der Aktion heute morgen mit den Brauntönen lassen mir die roten Farben den ganzen Tag lang schon keine Ruhe. Offensichtlich wollen hier Farben verstanden werden. Rot ist mir gemeinhin oft zu laut. Und dann waren gleich vier Varianten davon in meinem Atelier gelandet. Einfach, weil ich mir in den Kopf gesetzt hatte, die ganze erhältliche Palette des Herstellers vollständig parat haben zu müssen. Gefühlt hätte ich nur ein Rosa gebraucht. Primärrot, Zinnober und Karmin sahen sich den Flaschen nach so ähnlich, dass sie mir überflüssig erschienen.
Was für eine Überraschung: Das Tyrisch-Rosa fand ich ursprünglich hübsch und siehe da – nun ist es ein kalter Ton. Primärrot erschien kraftvoll und entschied sich, in der Verbindung mit Weiß zu einem kühlen Pink zu mutieren. Das langweilige Zinnober lachte mich auf einmal in seiner Pracht warm an und gab mir zu verstehen, dass es sich ganz wunderbar für Lachstöne eignen wird. Und das Karmin? Zauberte die wunderbarsten Erdbeer-Töne.
Es ist, wie beim Erlernen einer neuen Sprache: Zwar stehe ich noch bei „Guten Tag“ und „mein Name ist …“, aber ich habe das beglückende Gefühl, dass ich die Vokabeln behalten werde und mir die nächsten Lektionen zufliegen werden. Wie kann das sein, dass so ein bisschen Pigment so glücklich machen kann? Freude.
