Kreisen

Das tiefe Blau lacht mich an. Es will in die Mitte. Da, wo es gestern am Ende des gestrigen Bildes stehen geblieben war. Ok. Und dann? Alle Farben des Regenbogens. Die Spektralfarben beschäftigen mich schon seit einer ganzen Weile: In der Fotografie, im Garten und heute morgen in dem Buch von Harald Mante über das serielle Fotografieren. Also entstehen bunte Ringe, sorgfältig voneinander abgegrenzt. Ich weiß noch nicht, was die Farben machen, wenn sie sich vermischen. Also bleiben sie erst einmal voneinander getrennt. Kontrolle.

Dann entgleitet mir die Situtation: Ich hatte Lust zu matschen, also habe ich den Leim als Grundierung sehr fett aufgestrichen. Und nun noch die Farben obendrauf, ebenfalls echt fett. Die Farben fangen an zu rutschen und tropfen vom Blatt herunter. Aufregung! Erst mal einen Kaffee und Abstand gewinnen. In dieser Zeit rutschen die Farben natürlich noch weiter vor sich hin. Ich bin ernsthaft angefressen. Das Blatt verwandelt sich vor meinen Augen in eine Kinderzeichnung. So ein Mist! Ich will keine Anfängerin sein. Ich will malen können. Jetzt, hier und sofort! Brennende Ungeduld. Wut darüber, diese kleinen Schritte tun zu müssen und nicht zu wissen, wann es denn „gut“ genug sein wird.

Im Prozess

Luft holen. Zurück zu meiner selbstgestellten Aufgabe: Jeden Tag ein Bild. Ich kann deshalb zurückkehren, weil hier echt Gefahr im Verzug ist: Wenn ich noch länger warte, rutscht mir das ganze Zeugs runter. Also wird das „Retter“-Programm angeworfen. Es ist dem „Auf-den-letzten-Drücker“-Modus sehr ähnlich, weil einfach alle Alarmglocken schrillen und ein klares Denken nicht mehr möglich ist. Ohne dem ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich mir schlicht eine andere Tätigkeit gesucht hätte. Nun aber mit Hochdruck zum Bogen zurück.

Noch einmal Luft holen. Pragmatisch sein: Wo kann ich am leichtesten anfangen? In den Ecken, da sind die Abschnitte nicht so groß. Ich spüre, dass es mein heutiger Wunsch war, die großen Kreisschwünge der Zen-Meister zu üben. Die, die mich vorgestern beeindruckt hatten. Ich werde sehen, wann ich mich trauen werde, den Kreisschwung zu probieren. Hellrot und Orange jedenfalls bekommen nur Teilschwünge ab. Bei Gelb werde ich mutiger und bei dem Hellgrün probiere ich es dann tatsächlich aus. Etwas eierig, ja. Aber das ist in Ordnung. Die kleineren Kreise schwurbeln von alleine vor sich hin. Und also bin ich von Außen nach Innen wieder zurück zur Mitte, zum Zentrum gekreiselt. Buchstäblich. Mit einem kleinen Klacks Violett einen Punkt gesetzt. Erleichterung.

Für das erste Mal und unter diesen erschwerten Bedingungen mit dem zuviel an Leim war es doch eigentlich ganz gut gelaufen. Schnell den Bogen abnehmen und hinlegen, bevor die Schwerkraft erneut zuschlägt. Problem für heute gelöst. Nur die Ungeduld, die haust noch weiter in einer Ecke und grummelt weiter vor sich hin. Hoffentlich macht sie mir in den nächsten Tagen keinen Strich durch die Rechnung. Wie kriege ich sie wieder mit an Bord?